Law is Law – Vom Smart Contract zur Blockchain Arbitration?

Die Idee klingt vielversprechend: Unterstützt durch Softwarelösungen sollen wir Verträge künftig ohne Beteiligung von Juristen abschließen und abwickeln können.
Dr. Moritz Indenhuck
Donnerstag, der 29. November 2018

In der Software hinterlegte Smart Contracts erkennen, ob und zu welchen Bedingungen ein Vertrag geschlossen worden ist und führen die vereinbarten Rechtsfolgen automatisch aus. Vielfach ist das schon heute Realität. Internetnutzer beziehen digitale Inhalten wie Musik oder Serien in Form von Abomodellen bei Streamingdiensten. Die monatliche Abbuchung erfolgt automatisiert über das angegebene PayPal-Konto. Sind die dort vorhandenen Mittel ausgeschöpft, wird dies über die entsprechenden Schnittstellen an den Anbieter kommuniziert. Dessen System erkennt, dass der Nutzer die geschuldeten Leistungen nicht länger erbringt und dreht den virtuellen Hahn zu. Sowohl die Abwicklung des vereinbarten Leistungsprogramms (Inhalte gegen monatliche Zahlung) als auch die Ausübung von Rechten im Falle der Leistungsstörung (ohne Geld kein Inhalt) erfolgen automatisiert.

Das Ende der Mittelsmänner

Natürlich ist das nur der Anfang. Spannend wird es, wenn Smart Contracts mit Blockchain-Technologie verknüpft werden. Nutzer können dann auch direkt miteinander Verträge schließen und abwickeln. Intermediäre in Form von Banken oder Notaren werden nicht länger benötigt. Der erforderliche Transaktionskonsens wird stattdessen über eine dezentrale Datenbank hergestellt, die jede Neuverteilung von Rechtspositionen in Echtzeit mitschreibt. Möchte ein Teilnehmer einen bestimmten Wert (etwa die Rechte an einem Bild) auf einen anderen Teilnehmer übertragen, überprüft das System anhand der bisherigen Transaktionshistorie, ob der Teilnehmer über die entsprechenden Rechtsbefugnisse verfügt. Kommt die Transaktion zustande, wird der neue Rechtszustand in der Datenbank nachgehalten. Jeder Teilnehmer kann sich so darauf verlassen, dass nur legitime Transaktionen vorgenommen werden können. Die Blockchain wird zur trust machine.

Künftig sollen Nutzer sogar ganze Investmentunternehmen virtuell gründen und steuern können. Über ein Geflecht von Smart Contracts werden dabei die Befugnisse der Investoren im Code festgelegt. Die Software erkennt, wie groß der jeweilige Anteil am Investmentvermögen ist und ermöglicht die Ausübung der damit verknüpften Befugnisse – etwa in dem sie dem jeweiligen Investor bei Investitionsentscheidungen entsprechende Stimmrechte einräumt. Alle Entscheidungsprozesse werden digital dokumentiert und durch die Software direkt umgesetzt. Erste Gehversuche hierzu existieren bereits.

Die Smart-Contract-Community träumt davon, perspektivisch sämtliche Rechtsbeziehungen über die Blockchain abbilden und automatisiert abwickeln zu können. Menschen, die abstrakte Rechtsnormen in konkrete Handlungsanweisungen übersetzen, werden damit überflüssig. Das betrifft natürlich nicht nur uns Anwälte. Wo der Satz „Code is Law“ richtig ist, sind auch Richter bald ihren Job los.

Das Problem mit der Sittenwidrigkeit

Inzwischen setzt sich allerdings zunehmend Erkenntnis durch, dass es damit auf absehbare Zeit nichts werden wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zunächst einmal ist das Rechtssystem auf Kommunikation mit seiner Umwelt angewiesen. Die rechtlichen Entscheidungsmechanismen müssen in der Lage sein, außerrechtliche Gegebenheiten erkennen und einordnen zu können. Nur wer Erkenntnisse darüber hat, ob es in einer Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr laut war, kann darüber entscheiden, ob eine hierauf gestützte Mietminderung berechtigt ist. Das Prozessrecht löst dieses Übersetzungsproblem über die Mittel des Erkenntnisverfahrens. Mithilfe von Zeugen und Sachverständigen können Richter Tatsachenfragen klären, die für die Lösung eines Falls entscheidend sind.

Übertragen auf das Konzept der Smart Contracts bedarf es daher entsprechender Schnittstellen, über die Informationsquellen außerhalb des Codes für diesen verfügbar gemacht werden können. Zwar gibt es auch hierfür bereits Lösungsansätze: Mithilfe sog. Oracles können Informationen aus der Realwelt für Smart Contracts erkennbar gemacht werden. Da diese Informationen von Stellen außerhalb der Blockchain stammen, geht der Vertrauensvorteil einer geschlossenen Blockchain-Lösung dabei allerdings verloren. Externe Informationen können zudem fehlerhaft oder interpretationsbedürftig sein. Vielfach wird der Code hier an seine Grenzen stoßen.

Ein noch grundlegenderes Problem folgt aus dem Umstand, dass unser Rechtssystem auf Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe angewiesen ist. „Sittenwidrige“ Rechtsgeschäfte sind nichtig und „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“ Derartige Formulierungen hat der Gesetzgeber bewusst an verschiedenen Stellen in unsere Rechtstexte aufgenommen. Die Unbestimmtheit ist dabei kein Verlegenheitsprodukt sondern gewollt. Da der Gesetzgeber nicht jeden Fall vorhersehen und regeln kann (der Versuch würde ihn überfordern und schließlich blockieren), sollen auf diese Weise Wertungsspielräume eröffnet werden, die mit Blick auf den konkreten Einzelfall ausgefüllt werden müssen. In der einfachen Wenn-Dann-Logik von Smart Contracts lassen sich solche systembedingte Unschärfen hingegen nicht abbilden. Solange wir nicht jeden denkbaren Fall durch Schaffung einer passgenauen Regelung schon im Vorfeld lösen können, sind wir auf sprachliche Abstraktion angewiesen – und auf Entscheider, die den abstrakten Satz im Streitfall auf die konkrete Situation herunterbrechen.

Und schließlich: Auch Smart Contracts können Fehler enthalten, die dazu führen, dass das von den Vertragsparteien eigentlich Gewollte sich nur unvollständig im Code wiederfindet. Löst ein Smart Contract in einem solchen Fall einen von den Parteien nicht vereinbarten Leistungsaustausch aus, ist der Streit (Achtung Wortspiel!) wohl vorprogrammiert.

Blockchain Arbitration

Auch wenn es der ein oder andere Blockchain-Apologet nicht hören mag: Vorerst werden wir „Code“ und „Law“ auch weiterhin auseinanderhalten müssen. Wo über letzteres gestritten wird, steht der (analoge) Rechtsweg offen. Das gilt unabhängig davon, ob ein Vertrag am Telefon, in der Kneipe oder über eine Blockchain geschlossen worden ist. Praktisch dürfte der Versuch, Ansprüche aus einem Smart Contract (besser: aus dem zugrundeliegenden juristischen Vertrag) vor einem deutschen Zivilgericht durchzusetzen, allerdings häufig mit Schwierigkeiten verbunden sein. Wenn die einzige Information, die ich über meinen Vertragspartner habe, aus einer zufällig anmutenden Abfolge von Zeichen besteht, wird es spätestens bei der Zustellung der Klageschrift zu Problemen kommen. Wer die staatlichen Gerichte anruft, muss zudem Zeit und (echtes) Geld mitbringen. Dass der Staat durch Einrichtung spezieller „Justizschnittstellen“ hier in naher Zukunft für einfachere Zugangswege sorgt, wird man in Zeiten des beA-Gates jedenfalls nicht als sicher voraussetzen können.

Vielversprechender scheint da schon die Idee, für die Beilegung von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Smart Contracts spezielle Schiedsgerichte zu schaffen. Im Streitfall sollen diese künftig von den Parteien eines Smart Contracts eingeschaltet werden können. Technisch bedarf es hierfür eines „Pause Buttons“, mit dem die automatisierte Abwicklung des Smart Contracts ausgesetzt werden kann. Der Konflikt anschließend an das Schiedsgericht weitergeleitet. Als rechtliche Grundlage hierfür kann eine Schiedsklausel im Vertrag dienen. Entsprechende Vereinbarungen können nach der deutschen Zivilprozessordnung zwischen Unternehmen auch elektronisch getroffenen werden. Ist ein Verbraucher beteiligt, ist hingegen eine ausdrückliche schriftliche Schiedsvereinbarung erforderlich – ein echter Conversion Killer also. Immerhin werden Formmängel der Schiedsvereinbarung geheilt, wenn sich der Verbraucher auf die Verhandlung vor dem Schiedsgericht einlässt. Die Chancen hierfür stehen gut, wenn der Verbraucher damit rechnen darf, dass die Einschaltung des Schiedsgerichts zu einer schellen und fairen Lösung führen wird. Beispiele aus dem E-Commerce – etwa der PayPal-Käuferschutz – zeigen, dass Verbraucher durchaus bereit sind, sich auf alternative Verfahren zur Konfliktlösung einzulassen.

Die Chancen für eine Blockchain Arbitration stehen damit nicht schlecht. Gelingt die Verknüpfung von Smart Contracts und Schiedsgerichten, könnte dies die nächste Evolutionsstufe der Blockchain-Technologie einleiten.

Weiterführende Links:

Koulu, Blockchains and Online Dispute Resolution: Smart Contracts as an Alternative to Enforcement, scripted, Volume 13, Issue 1, May 2016

Fries, Smart Contracts: Brauchen schlaue Verträge noch Anwälte?, AnwBl 2 / 2018, S. 86 ff.

Kaulartz, Vortrag „Blockchain-based Arbitration“, gehalten auf der Konferenz „blockchain, law, blockchainlaw?”, HU Berlin, 25. Januar 2018

Kolain, Wieso Smart Contracts die Erwartungen enttäuschen müssen, Beitrag auf golem.de vom 7. September 2016

Röh, Jacobs, Lange-Hausstein, Fondverwahrung mittels Blockhain, Berliner Briefe zum Kapitalmarktrecht No. 04/2017, S. 2 ff.

BTC ECHO, Was sind Oracles auf der Blockchain?

Kühl, Und plötzlich fehlen 50 Millionen Dollar, ZEIT Online, 20. Juni 2016

 

 

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