Eigentor von Adidas ? Unberechtigte Kritik wegen Nichtzahlung von Ladenmieten

Ein Lehrstück dafür, vor welchen Herausforderungen Vorstände und Geschäftsführer stehen, in für alle ungeahnt und ungewohnt schwierigen Zeiten ihr Unternehmen durch die Krise zu führen, bietet die gegenwärtige Diskussion über die Einstellung von Mietzahlungen durch Adidas und andere große Einzelhandelsketten. Die daran vielfach geäußerte Kritik ist jedoch zumindest im Grundsatz unberechtigt.
Dr. Matthias Birkholz
Dienstag, der 31. März 2020

Gegenwärtig sind auch Gewerbemieter bei Nichtzahlung ihrer Mieten vor Kündigung geschützt. Das Kündigungsrecht bei ausbleibender Mietzahlung wird für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt. Miete, die in den nächsten drei Monaten nicht gezahlt wird, muss erst bis zum 30.06.2022 nachgeleistet sein. Voraussetzung ist, dass der Mieter als Folge der Corona-Maßnahmen nicht zahlen kann. Von dieser Möglichkeit haben mehrere große Einzelhandelsketten bereits Gebrauch gemacht. Neben Adidas stellten Läden wie H & M, Deichmann und Puma ihre Mietzahlungen für Einzelhandelsläden ein. Adidas Chef Kaspar Rosted rechtfertigte sich demgegenüber mit dem Hinweis, dass 100 % der Einzelhandelsumsätze weggebrochen seien, Online-Handel mache nur 15 % des Adidas-Umsatzes aus.

Wutrede des Bundesarbeitsministers und Shitstorm im Internet

Das hat nicht nur einen Shitstorm im Internet ausgelöst. Bundesverkehrsminister Scheuer nannte es eine „völlig inakzeptable Botschaft“ und Justizministerin Christine Lambrecht äußerte sich ähnlich: “Wenn jetzt finanzstarke Unternehmen einfach ihre Mieten nicht mehr zahlen, ist dies unanständig und nicht akzeptabel.” Arbeitsminister Hubertus Heil äußerte sich “stinksauer”

Es ist jedoch, weder rechtlich noch moralisch, nicht grundsätzlich falsch, wenn Unternehmenslenker ihr Handeln – auch und gerade in einer Krisensituation – ausschließlich am Unternehmenswohl orientieren. In der gegenwärtigen Krise muss jeder Vorstand und Geschäftsführer die Liquidität seines Unternehmens im Blick behalten. Ich weiß zwar nicht, wie es um die aktuelle wirtschaftliche Situation von Adidas bestellt ist. Allerdings ist es auch für ein Unternehmen, das in den vergangenen Jahren wirtschaftlich sehr erfolgreich war, bereits offensichtlich ein Thema, wenn bis auf einen eher kleinen Prozentsatz von Online-Verkäufen alle Umsätze von einem Tag auf den anderen wegbrechen. Und dass deswegen nach Wegen gesucht wird, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Kosten zu senken. Auch wenn das bei Vertragspartnern, etwa Vermietern, ebenfalls zu negativen Auswirkungen führt.

Unternehmensinteresse als Maßstab

Nichts anderes gibt das deutsche Gesellschaftsrecht vor. So sind Unternehmenslenker gehalten, im Rahmen der Legalität ausschließlich den Gesellschaftszweck zu verfolgen. Auch das weite unternehmerische Ermessen, dass ihnen die Business Judgement Rule unter anderem nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zubilligt, verlangt ein Handeln im Interesse der Gesellschaft. Das liegt jedenfalls dann vor, wenn die Entscheidung der langfristigen Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und seiner Produkte oder Dienstleistungen dient.

Es spricht viel dafür, dass in diesem Sinne allgemeine Nachhaltigkeitserwägungen jenseits einer Erwartung eines zumindest langfristigen Vermögensvorteils für das Unternehmen daher bei der Entscheidung keine Rolle spielen dürfen. Das mag man vor dem Hintergrund des gestiegenen Sustainability-Bewusstseins für kritikwürdig halten und daher eine entsprechende Reform der Business Judgement Rule fordern. Grundsätzlich vorwerfen kann man aber dem Adidas-Chef nicht, dass er angesichts der Corona-Krise vor allem das Unternehmensinteresse im Blick hat.

Hohe Verzugszinsen als Abwägungsfaktor

Die entscheidende Frage muss vielmehr sein, ob die entsprechende Abwägung vertretbar war. Vor der Entscheidung sind alle erkennbaren Folgen zu berücksichtigen. Bei der Nichtzahlung der Gewerbemieten in der gegenwärtigen Situation ist zu bedenken, dass das Gesetzgebungspaket lediglich einen begrenzten Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit aufgrund der Nichtzahlung vorsieht. Eine Stundung der Mieten ist damit aber nicht verbunden. Und die Berufung auf pandemiebedingte Leistungsverweigerungsrechte ist sehr unsicher. Die Folge ist, dass bei einer Nichtzahlung Verzugszinsen für Nichtverbraucher in Höhe von 9 % über dem Basiszinssatz anfallen dürften (§ 288 Abs. 2 BGB). Diese Verzugszinsen belaufen sich gegenwärtig auf 8,12 % p.a. Ob es daher klug ist, einseitig Gewerbemieten flächendeckend nicht zu zahlen, statt vielmehr in dieser Situation zunächst das Gespräch mit den Vermietern zu suchen, muss daher genau abgewogen werden.

Reputationsrisiko berücksichtigen

Und natürlich erlaubt und fordert auch die auf das Unternehmensinteresse reduzierte Sicht eine umfangreiche Berücksichtigung auch externer Folgen. Der BGH hat zuletzt in der Schloss Eller-Entscheidung bestätigt, dass auch ein wirtschaftlich unmittelbar nachteiliges Geschäft vorgenommen werden kann, wenn vernünftigerweise langfristige Vorteile zu erwarten sind. In diesem Rahmen können selbstverständlich auch Gemeinwohlbelange bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigt werden.

Vor allem aber ist die Wahrung und Steigerung der Reputation des Unternehmens natürlich ein Wert, der bei Entscheidungen berücksichtigt werden muss und in die Diskussion mit einzubeziehen ist. Der mögliche Reputationsschaden, der mit der Ankündigung, flächendeckend Ladenmieten für Einzelhandelsflächen nicht mehr zu zahlen, verbunden ist, muss insoweit ebenfalls in die Überlegungen einbezogen werden. Und man sollte versuchen, diesen Schaden durch Mittel der Unternehmenskommunikation möglichst gering zu halten.

Langfristige Folgen nur schwer operationalisierbar

Allerdings lassen sich derartige langfristige Faktoren, anders als Folgen von Entscheidungen (oder der Unterlassung von Entscheidungen) auf die kurzfristige Liquidität, nur schwer operationalisieren und ebenso schwer nachprüfen. Ein Pflichtverstoß ist in Anlehnung an die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH aber nur dann anzunehmen, wenn der Vorstand oder Geschäftsführer das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt hat. Das dürfte, anders als bei der Frage der gebotenen Schonung der Liquidität durch Ausnutung gesetzlich vorgegebener Möglichkeiten, wie hier die Nichtzahlung der Miete, im Hinblick auf den damit verbundenen möglichen Reputationsschaden vermutlich nicht der Fall sein.

 

Update 1. April 2020: Adidas entschuldigt sich und will doch weiter Miete zahlen

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