EBA fordert “sustainable lending”

Am 29. Mai hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) neue Leitlinien zur Kreditvergabe und Kreditüberwachung veröffentlicht. Sie verfolgt dabei einen umfassenden Ansatz, indem sie neben dem Risikomanagement auch die Aspekte Verbraucherschutz, Environmental, Social and Governance (ESG) sowie Geldwäscheprävention einbezieht.
Dr. Kati Meister,
Daniel Bögeholz,
Dr. Liesa Plappert
Donnerstag, der 4. Juni 2020

Hintergrund

Die Fähigkeit der Banken, Kredite an die Realwirtschaft zu vergeben, wird erheblich von der Qualität ihrer Kreditportfolios beeinflusst. Denn anhaltend hohe Bestände an notleidenden Krediten (Non-Performing Loans – NPL) wirken sich in mehrerlei Hinsicht negativ aus: Sie beeinträchtigen einerseits die Rentabilität der Banken, da Verwaltungskosten und höhere Finanzierungskosten für sie anfallen. Eine entsprechende Risikovorsorge zehrt an der Eigenmittelbasis der Banken. Andererseits binden sie Kapital für die Besicherung unproduktiver Aktiva und belasten damit die Finanzierung der Realwirtschaft.

Die EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung knüpfen an den bereits 2017 vom Rat der Europäischen Union veröffentlichten Aktionsplan für den Abbau notleidender Kredite an. Dort wurde die EBA dazu aufgerufen u.a. Leitlinien für die Kreditwürdigkeitsprüfung, die Überwachung und die interne Führung der Banken herauszugeben.

Umfassender Ansatz der Leitlinien

Die neuen EBA-Leitlinien zur Kreditvergabe und -überwachung konkretisieren die Vorgaben des Art. 74 CRD zu Prozessen und Mechanismen der internen Governance sowie die Vorgaben der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und der Verbraucherkreditrichtlinie zur Kreditwürdigkeitsprüfung (umgesetzt in § 18a KWG und §§ 505a ff. BGB). Sie inkorporieren die EBA-Leitlinien zur Kreditwürdigkeitsprüfung, die mit Geltung der neuen Leitlinien außer Kraft treten.

Die neuen Leitlinien sollen sowohl zu einer verantwortlichen Kreditvergabe durch die Institute beitragen als auch einen hohen Verbraucherschutz gewährleisten. Sie spiegeln damit die Rechtsprechung des EuGH wider, nach der die Kreditwürdigkeitsprüfung sowohl eine verantwortungsvolle Kreditvergabe als auch den Schutz des Verbrauchers vor Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bezweckt (vgl. zuletzt das Urteil des EuGH vom 5. März 2020 – C‑679/18, „OPR Finance“). Eine so verstandene Kreditwürdigkeitsprüfung liegt nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern erfüllt nach dem Verständnis der EBA gleichzeitig eine Schutzpflicht gegenüber dem Verbraucher. Daraus folgt, dass die Institute bei einer solchen Prüfung neben Risikogesichtspunkten auch dem Aspekt des Verbraucherschutzes Rechnung tragen müssen. Die EBA-Leitlinien entwickeln diesen dualen Ansatz fort und konkretisieren entsprechende Vorgaben. Insbesondere fordern die Leitlinien eine Berücksichtigung von Verbraucherschutzgesichtspunkten nicht nur im Rahmen der Kreditwürdigkeitsprüfung, sondern auch bei den Prozessen des Risikomanagements und der Kreditvergabe. Die EBA will so zur finanziellen Stabilität und Widerstandsfähigkeit des EU-Bankensystems beitragen. Außerdem sollen die Leitlinien die Kreditinstitute auf künftige Herausforderungen vorbereiten, denen sie sich vor allem im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem vermehrten Einsatz neuer Technologien stellen müssen. Deshalb enthalten die Leitlinien insbesondere Vorgaben zum Einsatz automatisierter Modelle und zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren.

Konkrete Vorgaben für die Kreditvergabe- und Überwachung

Die EBA adressiert in ihren Leitlinien insbesondere folgende Aspekte der Kreditvergabe und -überwachung:

  • die interne Governance,
  • die Prozesse der Kreditvergabe,
  • die Kreditwürdigkeitsprüfung,
  • die Preisgestaltung,
  • die Bewertung von Sicherheiten,
  • den Rahmen für die Überwachung.

Hinsichtlich der Governance-Vorgaben baut die EBA auf ihre Leitlinien zur internen Governance auf. Dabei weisen die Leitlinien der EBA einen deutlich höheren Detaillierungsgrad auf, als man es z.B. von den MaRisk der BaFin gewohnt ist. Insbesondere ist hier die Verpflichtung der Kreditgeber zu erwähnen, eine Sensitivitätsanalyse zum Zwecke der Bewertung der Kapitaldienstfähigkeit vorzunehmen. Die Leitlinien für die Kreditvergabe an mittlere und große Unternehmen enthalten hinsichtlich dieser Sensitivitätsanalyse den höchsten Detaillierungsgrad. Sie werden aller Voraussicht nach zu nicht unerheblichem Mehraufwand auf Seiten der Institute führen.

Automatisierung von Prozessen

Die neuen Leitlinien enthalten detaillierte Vorgaben für die Automatisierung sowohl der Kreditentscheidung als auch der Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Bei einer automatisierten Kreditentscheidung sollen die Institute unter anderem dafür Sorge tragen, dass sie weiterhin ein angemessenes Risikomanagement vornehmen. Sie sollen die verwendeten Modelle, Annahmen sowie Beschränkungen verstehen und die Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit Robustheit und Belastbarkeit gewährleisten.

Hinsichtlich einer automatisierten Beurteilung der Kreditwürdigkeit sollen die Institute sicherstellen, dass sie die verwendeten Modelle, die Methode, die Eingabedaten, die Annahmen sowie Beschränkungen verstehen. Dazu sind entsprechende Prozesse und Kontrollmechanismen vorzusehen. Die Institute sollen außerdem eine ausreichende Dokumentation gewährleisten.

Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren

Die Leitlinien spiegeln ferner die jüngsten Bestrebungen auf EU-Ebene wider, eine weitergehende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren zu erreichen. So sollen die Institute ESG-Faktoren bei ihrem Kreditrisikoappetit und ihren Strategien zum Risikomanagement berücksichtigen. Klimarisiken sollen auch bei der Beurteilung der finanziellen Verhältnisse von Kreditnehmern berücksichtigt werden. Dies können sowohl physische Risiken (Folgen des Klimawandels, bspw. Hitze- und Trockenperioden, Meeresspiegelanstieg) als auch Transitionsrisiken (die sich aus der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft ergeben, bspw. Verteuerung fossiler Energieträger, hohe Investitionskosten aufgrund erforderlicher Sanierungen) sein. Bei der Kreditvergabe an KME und größere Unternehmen regt die EBA an, zur Beurteilung der Risiken im Zusammenhang mit Klima- und sonstigen ESG-Faktoren sog. heat maps zu nutzen, die Klimarisiken sektorbezogen grafisch hervorheben.

Die Leitlinien enthalten außerdem Vorgaben für Kreditinstitute, die nachhaltige Kredite anbieten wollen. Diese Institute sollen als Teil ihrer Kreditrisikostrategie entsprechende Konzepte und Prozesse zur Regelung der Vergabe und Überwachung nachhaltiger Kredite vorsehen. Insbesondere soll eine Liste mit Projekten und Aktivitäten sowie Beurteilungskriterien bereitgestellt werden (alternativ ist ein Verweis auf existierende Standards möglich), um klarzustellen, welche Art der Kreditvergabe als nachhaltig angesehen wird. Außerdem sollen die Institute Prozesse etablieren, mit denen bewertet wird, inwieweit die vergebenen Kredite für die nachhaltige Aktivität verwendet werden. Im Fall der Vergabe nachhaltiger Kredite an Unternehmen sollen diese Prozesse folgende Elemente beinhalten:

  • das Sammeln von Informationen zu den Nachhaltigkeitszielen des Unternehmens,
  • die Beurteilung der Konformität dieser Ziele mit den Vorgaben für die nachhaltige Kreditvergabe,
  • die Gewährleistung, dass die Kreditnehmer über die Bereitschaft und Kapazitäten für eine ordnungsgemäße Überwachung und Berichterstattung hinsichtlich der Verwendung der Mittel für nachhaltige Projekte oder Aktivitäten verfügen, sowie
  • die regelmäßige Überwachung, der ordnungsgemäßen Verwendung.

Adressaten und Umsetzung der Leitlinien

Die Leitlinien richten sich an CRR-Institute und nationale Aufsichtsbehörden (NCAs). Die NCAs haben der EBA nach dem sog. „comply-or-explain-Mechanismus“ innerhalb von zwei Monaten nach Veröffentlichung der Leitlinien mitzuteilen, ob sie diese berücksichtigen werden. Die Mitteilungen werden auf der Website der EBA veröffentlicht.

Die Umsetzung soll in drei Phasen erfolgen. Ab dem 30. Juni 2021 sollen die Leitlinien grundsätzlich für neu vergebene Kredite Anwendung finden. Ab dem 30. Juni 2022 werden auch bereits existierende Kredite, die neu verhandelt werden erfasst. Schließlich sollen die Institute bis zum 30. Juni 2024 Zeit haben, ihren Überwachungsrahmen sowie ihre Infrastruktur anzupassen. Durch die phasenweise Implementierung soll vor allem sichergestellt werden, dass den Instituten ausreichend Spielräume zur Berücksichtigung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie bleiben, etwa bei einer etwaigen Neuverhandlung von Krediten. Es ist zu erwarten, dass die BaFin im Falle einer Berücksichtigung die Leitlinien im Rahmen einer Novelle in die MaRisk einarbeiten wird.

 

Dr. Liesa Plappert

Dr. Liesa Plappert

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